Am 19. November 1942 entfesselten die Russen eine der erfolgreichsten militärischen Offensiven des Zweiten Weltkriegs. Die Operation unter dem Decknamen "Uranus" sollte das erbitterte Patt bei Stalingrad durchbrechen und darüber hinaus die 6. deutsche Armee ihrerseits einkesseln und vernichten. Diese hatte im vorangegangenen Sommer eine Spur der Verwüstung durch die südlichen Steppen gezogen und die Sowjets an den Rand der Wolga gedrängt.
Die deutsche Sommeroffensive "Fall Blau" war eine klassische Bewegungskampagne gegen einen in dieser Strategie weit unterlegenen Gegner. Die Deutschen eroberten das gesamte südliche Rußland binnen weniger Monate! Die Russen gaben schließlich ihren Versuch auf, sich mit Manövern gegen überlegene deutsche Panzertruppen verteidigen zu wollen und versuchten statt dessen, die Deutschen in Zermürbungsgefechte zu verwickeln. Das war eine bittere Lektion für die Russen. Stalingrad war ein perfektes Beispiel für diese Zermürbungsstrategie. Die Deutschen schickten unsinnigerweise ihre mobilen Einheiten in Straßenkämpfe, in denen ihre militärische Überlegenheit nicht zum Tragen kam. Mit Stalingrad als Köder planten die Sowjets dann ihr eigenes Bewegungsgefecht - nicht gegen die deutschen Panzerkorps, Virtuosen auf diesem Gebiet, sondern gegen die schwachen Nachschublinien, die diese versorgten. Diese waren nur dünn von einem Gegner bewacht, der ausmanövriert werden konnte. Während Paulus im Schutt von Stalingrad kämpfte, wurden die langen Flanken im Norden und Süden seiner 6. Armee von den Rumänen verteidigt. Diese unglücklichen Truppen waren einfach zu schwach, um gegen den sowjetischen Angriff eine Verteidigungsstellung halten zu können, und sie besaßen weder die Ausrüstung noch die notwendige Erfahrung für ein Bewegungsgefecht. Der daraus resultierende Sieg der Sowjets wurde zum Wendepunkt für den Krieg im Osten.
Als die Deutschen bemerkten, daß ihr Bewegungskrieg in den Steppen in einen Zermürbungskrieg in Stalingrad mündete, hätten sie ihren Angriff abbrechen und ihre mobilen Einheiten als Reserve vereinigen sollen. Die mageren Reserven hinter den italienischen und rumänischen Armeen waren völlig unzureichend, um sich der Flut der Roten Armee, welche die Operation "Uranus" ausgelöst hatte, entgegenzustemmen. Auch nachdem die Sowjets die Kunst des Bewegungsgefechts erlernt hatten, blieb ein Aspekt ihrer Offensiven erhalten: ihr Hang und ihre Fähigkeit zu wirklich massiven Angriffen. Bei der Operation "Uranus" wurden annähernd 400 sowjetische Panzer in der nördlichen Zange eingesetzt. Ihnen standen etwa 100 veraltete tschechische Panzer der 1. rumänischen Panzerdivision und 30 bis 40 strategische Panzer der erschöpften 22. deutschen Panzerdivision gegenüber. Der erste strategische Fehler der Deutschen bei Stalingrad war demnach eine falsche Positionierung ihrer Truppen und eine falsch gewählte Strategie für die mobilen Einheiten.
Der russische Plan sah vor, in einem großen Zangenangriff durch die dünnen Linien der rumänischen Armeen zu stoßen und sich bei Kalatsch am Don zu vereinigen. Die Deutschen hätten sofort nach Beginn der Schlacht die Absicht der Russen erkennen müssen, denn immerhin hatten sie zahllose ähnliche Bewegungsgefechte mit Zangenangriffen und Einkesselungen selbst durchgeführt. So hätten sie sicher durch eine angemessene Reaktion den russischen Angriff erneut niederschlagen können. Eine Analyse der ersten deutschen Reaktion auf diese Situation zeigt, daß die erfahrenen deutschen Generäle Weichs, Paulus und später Manstein instinktiv die erforderliche strategische Wende zu einem Bewegungsgefecht mit den mobilen Einheiten erkannten. Doch leider waren diese aus Arroganz dem ausgebrannten Trümmerhaufen Stalingrad zugewiesen worden.
Weichs, der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B bei Starobjelsk, wollte sich sofort mit der 6. Armee hinter den Don zurückziehen und das XIV. Panzerkorps der Deutschen am Tschir positionieren, um die nördliche Zange der Russen aufzuhalten. Statt dessen schickte Paulus die Panzer dem XI. Korps zu seiner Linken zu Hilfe, da plötzlicher Treibstoffmangel sie davon abhielt, weiter nach Westen vorzustoßen. Alle deutschen Korpskommandeure, besonders Seydlitz-Kurtzbach, wünschten sich einen sofortigen Rückzug von ihren festen Verteidigungspositionen und ein Bewegungsgefecht gegen einen Feind, den sie wieder und wieder hierin geschlagen hatten. Selbst wenn sie schnell reagiert hätten, wäre es schwergefallen, den Vormarsch der Russen zu stoppen. Doch was die deutschen Generäle nicht besiegen konnten und sie dauerhaft behinderte, war der lähmende Einfluß Hitlers auf höchster Ebene.
Hitlers einzige eigene Kampferfahrung beschränkte sich auf den Ersten Weltkrieg, in dem der Zermürbungskrieg die einzig bekannte Kampfstrategie war. Obwohl die deutsche Strategie des Blitzkriegs die moderne Kriegführung revolutioniert hatte, bestand Hitler auf einem eisernen Festhalten der schwer errungenen russischen Gebiete und weigerte sich, auch nur einen Quadratmeter wieder preiszugeben. Er rechtfertigte seine Strategie mit ökonomischen Gründen: der Kaukasus mußte wegen des Öls gehalten werden; Stalingrad wurde gebraucht, um den russischen Güterverkehr auf der Wolga zu unterbinden. Doch keiner dieser Gründe war kriegsentscheidend. Nur ein Sieg über die Rote Armee hätte zu einem Gewinn des Krieges führen können. Mit jedem weiteren Jahr gewann die Rote Armee an Stärke, bis sie gegen Ende des Krieges nahezu unbesiegbar und die stärkste Militärmacht der Erde war. Wenn Pattons Wunsch in Erfüllung gegangen wäre, sich am Ende des Zweiten Weltkrieges mit den Russen zu messen, so hätten sie ihm vermutlich den Kopf abgerissen!
Allerdings hatte die Rote Armee 1942 den Zenit ihrer Möglichkeiten noch nicht erreicht. Es zeigten sich jedoch schon bemerkenswerte Anzeichen der Stärke, die sie bald entwickeln würde. Ein kurzer Moment der Verwirrung und Görings heimlicher Einfluß auf Hitler machten die über Monate errungenen Erfolge Deutschlands an der Ostfront zunichte. Gerade als es Weichs gelungen war, eine zögernde Zustimmung Hitlers für ein Bewegungsgefecht zu erhalten, garantierte Göring dem Führer eine Versorgung der 6. Armee aus der Luft. Dies war nicht das erste Versprechen, das der Reichsmarschall nicht einlösen konnte. Es war ihm auch nicht gelungen, die sich gerade formierende Royal Air Force in der Luftschlacht um England zu besiegen.
Görings Rat unterminierte die Überlegungen im OKH. Hitler berief sich darauf, um seinen Beschluß zu rechtfertigen. Er untersagte jeglichen Rückzug aus Stalingrad und besiegelte damit das Schicksal der Deutschen. Für die mobilen Einheiten war es unmöglich, ein Abreißen der Nachschublinien zu verhindern, und die daraus resultierende Nachschubknappheit hatte fatale Folgen. Die Armee verlor ihre Manövrierfähigkeit und sah sich gezwungen, sich gegen einen mit Nachschub gut versorgten Feind in einem zermürbenden Stellungskrieg zu verteidigen, der darüber hinaus auf diese Methode der Kriegführung spezialisiert war.
Um die Situation zu retten, ernannte Hitler Generalfeldmarschall Erich von Manstein zum Oberbefehlshaber der neu gegründeten "Heeresgruppe Don". Der erfahrene Veteran von Feldzügen in Frankreich und auf der Krim galt allgemein als vielleicht bester Stratege des deutschen Heeres. Er sah sich nun der Aufgabe gegenüber, die zerrissene deutsche Südfront neu zu bilden und ein noch schlimmeres Unglück zu verhindern, indem er die strategisch bedeutsamen Nachschublinien zu Kleists 1. Panzerarmee weiter südlich sicherte.
Als Manstein eintraf, bemühte er sich verzweifelt, die bereits begangenen strategischen Fehler auszubügeln. Er erkannte, daß die russische Bewegungsschlacht in eine zeitweilige Flaute geriet. Obwohl die Flanken der Achsenmächte immer noch einladende Ziele für sowjetische Angriffe boten, müßten die Russen eventuell innehalten, um die durch die Offensive bereits erzielten Vorteile zu konsolidieren. In dieser Phase wollte Manstein zuschlagen. Die Operation "Wintergewitter" sollte ein schnelles Bewegungsgefecht entwickeln, um durch den dünnen Außenring der russischen Verteidigung zu brechen und die 120 Kilometer entfernte, eingekesselte 6. Armee zu unterstützen. Ohne es zu wollen, erhöhte Stalin die Chancen von Mansteins Erfolg, indem er die sofortige Liquidation der eingekesselten Deutschen forderte. So wurden schlagkräftige Panzer- und Infanterieeinheiten, die den deutschen Gegenschlag hätten abschwächen können, zum sowjetischen Angriff auf die eingekesselten Deutschen beordert. Man muß aber die Entscheidung der Sowjets, das Bewegungsgefecht an dieser Stelle aufzugeben, nachsichtig beurteilen. Sie gingen davon aus, etwa 80.000 Deutsche eingekesselt zu haben, die sie jetzt, da die Deutschen vom Nachschub abgeschnitten waren, in einer schnellen Zermürbungsattacke zu überwältigen hofften. Tatsächlich aber waren es annähernd 300.000 Deutsche, die trotz ihrer desolaten und gefährlichen Lage ein beachtliches Durchhaltevermögen und eine starke Moral zeigten.
by mAjO
P.S.: Weitere Posts zu "Mansteins Plan" und der "Opertion Saturn" folgen.
