Aus der "Ostsee-zeitung" von heute:
Historiker: TV stellt Zweiten Weltkrieg zu einfach dar
Rostock (OZ) Die Debatte um die Wehrmachtsausstellung und der Erfolg von Jörg Friedrichs Bombenkriegs-Bestseller „Der Brand" sind nur zwei Belege dafür, dass nach wie vor erheblicher Informations- und Diskussionsbedarf zum Zweiten Weltkrieg besteht. Das Fernsehen hat dies frühzeitig erkannt und bereitet seit Jahren in zahlreichen Dokumentationen das Kriegsgeschehen für eine neue Zuschauergeneration auf.
Doch während Hitler & Co. beim Publikum zu Quotenrennern avanciert sind, beklagen Historiker, dass Geschichte vereinfacht und zuweilen gar verfälscht wird.
Früher kamen sie oft dröge und akademisch daher, doch seit zehn Jahren hat sich das Gesicht der Dokumentationen gewandelt. Hauptverantwortlich dafür ist Guido Knopp. Mit Mehrteilern wie „Hitler – Eine Bilanz" (1995) machte der Leiter der ZDF-Redaktion Zeitgeschichte historische Sendungen zum emotionalen Erlebnis – und zum Serienprodukt: Hitlers Helfer, Hitlers Krieger, Hitlers Frauen. „Wann kommen Hitlers Hunde?", witzelten Kritiker.
Doch der Erfolg spricht für Knopp: Im Schnitt vier Millionen Zuschauer zur besten Sendezeit und ein für ZDF-Verhältnisse junges Publikum. Viele Zuschauer schalten ein, die mit historischen Themen sonst nicht zu erreichen wären. Neben schnellen Schnitten, permanenter Musikuntermalung und sonorer Sprecherstimme heißt das Erfolgsrezept Personalisierung: Vor neutral schwarzem Hintergrund erzählen Zeitzeugen ihre Geschichte, schlagen damit eine Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart. Die anrührenden Einzelschicksale sollen den Blick für größere Zusammenhänge öffnen.
Viele Historiker, gewöhnt an komplexe Gesamtüberblicke, sehen darin eine unzulässige Vereinfachung. „Eine Fernsehdokumentation ist keine Doktorarbeit", sagt dazu Christian Deick, Redakteur im Team von Guido Knopp. „Wir spitzen zu und konzentrieren uns auf das Besondere, um auf das Allgemeine hinzuweisen."
Selbst wenn sie sich mit dem selben Gegenstand beschäftigen, gehorchen Geschichtswissenschaft und Journalismus völlig unterschiedlichen Gesetzen, sagt der Gießener Medienwissenschaftler Prof. Siegfried Quandt. Historiker sollten daher endlich aufhören, Fernsehen mit ihren Maßstäben zu messen. Innerhalb von 30 oder 45 Minuten sei eine umfassende Darstellung nicht machbar.
Historiker wie Prof. Bernd Wegner aus Hamburg sehen das anders: Das Fernsehen greife immer wieder auf, was ohnehin längst im öffentlichen Bewusstsein präsent sei. Viele wichtige Themen würden durch den Druck der Einschaltquoten an den Rand gedrängt.
„Wir haben auch eine Serie über den Holocaust gemacht, obwohl klar war, dass die Quoten schwach werden", widerspricht ZDF-Redakteur Deick. Generell sei es zur Hauptsendezeit jedoch wichtig, viele Zuschauer anzusprechen. „Die Wissenschaft sitzt im Elfenbeinturm, wir müssen auf den Marktplatz.“
Dazu werden die Mannen um Guido Knopp auch in Zukunft Gelegenheit haben: Für 2004 sind pünktlich zu den 60. Jahrestagen der Landung in der Normandie und des Hitler-Attentats Mehrteiler über die Westfront und den Widerstand geplant. Der Zweite Weltkrieg ist Geschichte, doch auf dem Bildschirm wird er noch lange Zeit ausgetragen werden.
Allgemein: Zweiter Weltkrieg und TV
Allgemein: Zweiter Weltkrieg und TV
"Es gibt eine Form von Toleranz beim Menschen, die nichts anderes ist als ein Mangel an Würde." Joseph Schumpeter