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Ich wurde in Altaj geboren, in einer kleinen Ortschaft namens Michajlovskoe, Bezirk Baevsk. Die Ortschaft war sehr klein: etwa 20 Häuser und dazwischen mehrere Birken. Um den Ort herum gab es Hanffelder. Damals hat man nicht gewusst, dass man Hanf auch rauchen kann. Mein Opa war alter Kasack aus Semiretschsk (weiser_fuchs: auf Deutsch: sieben Flüsse) und zog mich auf seine Art und Weise auf. Als ich erst zwei oder drei Jahre alt war, setzte er mich in den Sattel auf einen Pferd. Als ich vier war, stellte mein Vater mich Mitte des Zimmers auf einen Viereck, zeichnete an der Tür eine Zielscheibe und gab mir ein geladenes Gewehr. Ich sollte schießen. Ich schoss und er sagte, dass ich getroffen habe. Ich wusste nicht, ob das stimmte oder ob er nur gelogen hat. Wieso ich das erzähle? Damit ihr versteht, dass man mich von früher Kindheit an zur Dienst in der Armee vorbereitete. Das war einfach üblich damals…
In der Nacht auf den 22. Juni haben wir außerhalb der Stadt gefischt. Nach Hause kehrten wir erst um vier Uhr nachmittags. In unserer Straße war unsere Familie die einzige, die ein Radio hatte. Als man gesagt hat, es eine Regierungsmitteilung gleich gesagt werden wird, hat meine Mutter das Radio in das geöffnete Fenster gestellt. Da sammelten sich unsere Nachbaren. Molotov hielt die Rede. Ich kann mich gut daran erinnern, dass Leute graue Gesichter hatten. Das könnte man gut verstehen: erst vor Kurzen war der Krieg gegen Finnland zu Ende und jetzt ein neues wieder.
Am nächsten Morgen, noch vor dem Sonnenaufgang, lief ich zum Wehrkommando. Fast alle meine Altgenossen waren bereits dort. Die 18jährigen wurden genommen. Mir hat man aber abgesagt – ich bin erst vor Kurzem 17 geworden. Ich lief zum Komsomolvorsitzenden – auch eine Absage: ich sollte lieber lernen gehen; wenn man mich brauchen wird, wird man mich auch rufen. Ich lief wieder zum Wehrkommando, diesmal direkt zum Wehrkommandant. Er wollte mich auch nicht nehmen. Ich flehte ihn mit Trennen in den Augen. Schließlich gab er auf und sagte aber: „Schon gut! Aber auf die Front kommst du nicht. Stattdessen gehst du in die Schule für Artillerie nach Tomsk.“ Ich hatte keine Wahl und stimmte zu. Bereits Ende Juni war ich in den Lagern bei Jurginsk, wo eine Kommision mich überprüfte.
Ich kann mich gut an die Schüsse aus einer 76mm Kanone auf ein bewegliches Ziel erinnern. Eine Panzerattrappe aus Holz zog ein LKW hinter sich. Mit der ersten Granate habe ich die Attrappe vernichtet. Unser Kommandant Kapitän Epifanov sagte: „Es kann nicht wahr sein. Noch eine Attrappe!“ Man zog die zweite Attrappe – ich schoss sie auch mit einer Granate ab. Epifanov fluchte:“Gebt ihm keine Munition mehr, sonst bleiben wir bald ohne Attrappen!“ …Um ehrlich zu sein, sage ich, dass ich nie aus einer Pistole oder einem Gewehr schießen lernen konnte. Aus einer Kanone aber problemlos… Die Stimmung war natürlich trübe. Wir konnten nicht verstehen, warum unsere Armee sich zurückzieht. Vor dem Krieg war die Devise „Mit wenig Blut auf fremdem Territorium“. Einige sagten, dass das nur solche Strategie ist. Aber niemand kam auf die Idee, Stalin oder die Staatführung zu beschuldigen.
Wir lernten etwa vier Monate lang und als die Lage unter Moskau schwer wurde, wurden ich und noch ca. 150 Kursanten an die Front geschickt. Die meisten von uns wurden schnell „verkauft“. Und die letzten 20 – 25 – entweder die jüngeren oder mehr erfahrenen -, unter denen auch ich war, wurden nach Krasnodar in eine Infanterieschule geschickt. Wir waren den ganzen Monat unterwegs und als wir eintrafen, sahen wir ziemlich scheußlich aus. Der Schulkommandant sah uns an und sagte: „Solche Kursanten will ich nicht haben!“ Am nächsten Tag wurden wir auch „verkauft“. So wurde ich zum Richtschützen bei einem 50mm Mörser. Man muss sagen, dass das Schicksal der Mörserbesatzungen sehr hart war. Wir befanden uns unter den Infanteristen. Aber ein Infanterist kann sich überall versteckn und wir mussten auf den Knien arbeiten. Die Mörsergranate flog nur auf 400 Meter – ganz schön schwach.
Einige Zeit waren wir bei der Umgliederung und Ende Dezember gingen wir nach Temrjuk und wurden auf die Schiffe geladen. Wir nahmen an der Ausschiffung nahe Kertsch teil. …Ich hatte Seekrankheit. Es war furchtbar. Ich kletterte aufs Deck und sah, wie die deutschen Flugzeuge unsere Landungsboote angriffen. Neun Boote wurden versunken. Ich stand oben, kotzte und flehte den Gott, damit eine Bombe unser Boot trifft. Damals schien alles besser als die Seekrankheit.
Die Landung war sehr erfolgreich. Wir wurden kaum beschossen. In nur wenigen Stunden befreiten wir Kertsch. In ein Paar Tagen war nur die Hälfte unseres Zuges intakt. Die anderen waren entweder tot oder verletzt. Alle unsere Mörser wurden schon zerstört, als unsere Soldaten drei oder vier deutsche Kanonen erbeuteten. Wir verstanden schnell, wie was da funktioniert, bildeten Artilleriebesatzungen und drehten die Kanonen gegen die Deutschen um. Es gab gar keine Schwierigkeiten mit der Munition, da die Deutschen alles gelassen haben.
Nach Kertsch wurden wir in verschiedene Regimente geschickt. Am 22. März erlitt ich eine schwere Kontusion und nach dem Hospital wurde ich Ende Sommer 1942 in das 36. Garde-Schützenregiment der 14. Garde-Schützendivision geschickt. Erst dort bin ich zu einem Artilleristen wieder – Richtschütze der 45mm Kanone. Die Infanteristen und wir selbst haben unsere Kanonen als „Auf Wiedersehen, liebe Heimat!“ oder „Der Tod der Besatzung“ genannt. Innerhalb der vier Monate bei Stalingrad wechselte sich die Besatzung meiner Kanone fünfmal komplett. Und ich wurde nicht einmal gekratzt. Das finde ich Schicksal – wie es bei der Geburt bestimmt wurde, wird es.
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Die Fortsetzung folgt.